Freitag, 16. September 2016
Der Maskenmann
Meine lieben Leserinnen und Leser, heute stelle ich Ihnen einen weiteren, den vierten Kriminalroman des Schriftstellers Jörg van Damme vor, der nicht minder spannend ist als die zuvor vorgestellten Bücher und ebenfalls über Amazon zu beziehen ist. Auch dieses Buch verspricht erneut viel Spannung und Unterhaltung für all jene, die Krimis lieben.



Gelsenkirchen.
Erstmals erfuhr die Bevölkerung an diesem grau verhangenen Morgen aus der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“, der „WAZ“, dass es in ihrer Stadt mitten im Ruhrgebiet einen grausamen Maskenmann gibt.
Diese und auch andere Gazetten veröffentlichten jeweils einen größeren Bericht über ein Verbrechen, das sich gerade am Tag zuvor ereignet hat. Und wie die auf alles Neue geilen Berichterstatter nun einmal sind, haben sie die ihnen von der Pressestelle des Polizeipräsidiums mitgeteilten Ermittlungsergebnisse der Kriminalpolizei in epischer Breite ausgeschmückt und ausgewalzt, um sie so den morgendlichen Lesern als Sensationshascherei vorzusetzen, auf dass deren sensiblen Nerven gekitzelt werden.
Wer immer auch seine Zeitung zum Frühstück liest, Appetit anregend ist die Lektüre jedenfalls nicht.
Die Leser all dieser Presseerzeugnisse wollten es erst kaum glauben, was sich da am Vortag in ihrer ansonsten so relativ friedlichen Stadt mitten im schönen Ruhrgebiet abgespielt hat.
Was war geschehen?
Ein völlig in Schwarz gekleideter Mann mit Kapuzenhaube und einer aufgesetzten grellbunten Fratzenmaske hat in Gelsenkirchen ein fürchterliches Verbrechen begangen.
Er hat im Bulmker Park am frühen Abend eine junge Frau angefallen, sie in ein nahes Gebüsch gezerrt und dann brutal mit einem Klappmesser attackiert. Dabei fuhr er der Frau mehrfach mit der Tatwaffe quer durchs Gesicht, so dass sie wohl für immer verunstaltet sein dürfte, es sei denn, ein geschickter Schönheitschirurg schafft es, mit seinen Künsten das Gesicht dieser Frau wieder einigermaßen ansehnlich zu gestalten.
Zwar konnte der Täter von aufmerksamen Fußgängern verschreckt und in die Flucht geschlagen werden, doch der armen jungen Frau hilft das jetzt nicht weiter. Blutüberströmt wird sie mit einem schnell herbei gerufenen Rettungswagen nach der ersten Notarzt-Behandlung in die Evangelischen Kliniken eingeliefert, wo sich die Ärzte und Schwestern rührend um die junge Frau bemühen, die Blutungen stillen und ihr gut zureden. Um einige Nähte, die gelegt werden müssen, kommt sie leider nicht herum.
Seelischer Beistand ist hier besonders gefordert, der ihr auch gewährt wird. Obwohl die Patientin um einen Spiegel bittet, um selbst zu sehen, was man mit ihr angestellt hat, wird ihr dieser Wunsch bewusst verweigert. Diesen Anblick kann man ihr einfach nicht zumuten.
Diese grausame Tat zu verarbeiten, dürfte für das junge Opfer sehr schwer werden. Ohne psychologische Hilfe wird sie während des Klinikaufenthaltes und danach nicht auskommen, denn allein ein Blick in den Spiegel würde immer wieder erneut traumatische Erinnerungen hervor rufen.
Da stellt sich der Bevölkerung nach dem Lesen des Berichtes die große Frage, was das für ein Mensch ist, der eine derartige Tat imstande ist zu vollbringen.
Eine Antwort kann derzeit niemand auf diese Frage geben, denn der unglaublich rabiat vorgehende Täter wurde zwar von seinem Opfer getrennt und vertrieben, ihm gelang aber die Flucht quer durch das Parkgelände, ehe die per Handy von einem Passanten alarmierte Polizei eingreifen konnte. Selbst eine blitzschnell ausgelöste Ringfahndung erbrachte keinen Erfolg.
Die Polizei tappt derweil völlig im Dunklen.
Die so fürchterlich zugerichtete Patientin bekam nach ihrer ersten noch am Tatabend vollzogenen Operation ein helles und freundliches Einzelzimmer zugewiesen, um von allen anderen Patienten separiert zu sein.
Die Ärzte wollen damit verhindern, das irgend jemand eine unbedachte falsche Bemerkung gegenüber dem Opfer ausspricht oder dumme Fragen stellt, die nur unnütz bei der jungen Frau seelische Wunden erneut aufreißen würden, die zu schließen man schließlich sichtlich bemüht ist.
In der Bevölkerung wird durch die unverhüllte Berichterstattung leider von den unüberlegt schreibenden Journalisten jede Menge Angst verbreitet. Gewiss, sie sollen über sämtliche Geschehnisse der Öffentlichkeit berichten, aber es ist ein großer Unterschied, ob dies in seriöser oder aufmacherischer Weise geschieht, die nicht beruhigt, sondern große Ängste schürt.
Die Art und Weise, wie diese spezielle Berichterstattung praktiziert wurde, ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie es im Journalismus nicht geschehen sollte. Obwohl die WAZ durchaus nicht als unseriös bezeichnet werden kann, so kommt es gelegentlich doch vor, dass mal ein Schreiberling über die Stränge schlägt und im Lokalteil Formulierungen anbringt, die man tunlichst vermieden hätte. Derartige Leute, die so unüberlegt ihre Ansichten von sich geben, berufen sich meist auf die berühmte Pressefreiheit, die ihnen angeblich zustehe.
Ein dummes Argument in diesem Zusammenhang, aber leider nicht auszurotten.
Das kann man so oder so sehen und trotzdem seriös darüber berichten. Leider bleibt bei manchen Journalisten der gute Geschmack auf der Strecke, wie in dem vorliegenden Falle.
Jedenfalls ist der großen Leserschaft mit dem Artikel über den Maskenmann, wie er von der Polizei bezeichnet wird, so sicherlich nicht gedient. Die Auswirkungen der unqualifizierten Berichterstattung hat eine derartige Angstwelle entfacht, dass die Menschen es meiden, selbst am frühen Abend noch irgendwo Parkanlagen zu betreten.
Dafür patrouillieren Polizeistreifen vermehrt durch die Straßen und Anlagen der Stadt. Man möchte Unruhe vermeiden helfen und gegenüber der Bevölkerung ein Zeichen setzen. Die Bürger sollen sehen, dass man durchaus sehr besorgt ist um die Sicherheit der Bevölkerung.

Im Polizeipräsidium herrscht reges Treiben. Der Polizeipräsident hat spontan eine Sonderkommission ins Leben gerufen, die den Namen „SOKO Maskenmann“ trägt. 15 Kriminalbeamte wurden zusammen gezogen, um sich dieses schweren Verbrechens anzunehmen.
Kriminal-Hauptkommissar Eberhard Wettig ist vom Polizeipräsidenten beauftragt, die Leitung zu übernehmen und für schnellstmögliche Fahndungsergebnisse zu sorgen. In dem im Stadtteil Buer gelegenen Präsidium laufen die organisatorischen Arbeiten auf Hochtouren, um den 15 zur SOKO abgestellten Beamten den benötigten Raum zur Verfügung zu stellen und weiterhin für alle nötigen Kommunikationsmittel zu sorgen.
Die Kripo-Beamten nehmen unverzüglich ihre Arbeit auf, um keine Zeit zu verlieren. Seitens der Kriminaltechnischen Untersuchungsstelle laufen die Ermittlungen direkt vor Ort zwecks Spurensicherung. Sie durchkämmen akribisch den Bulmker Park und vor allem den direkten Tatort selbst. Außer Blutflecken, die vermutlich vom armen Opfer stammen, finden sich keine weiteren Anhaltspunkte, die irgend welche Aufschlüsse über den Täter geben könnten.
Da in diesem Falle keine Schusswaffe benutzt worden ist, gibt es keine Patronenhülsen, die Auskunft über die benutzte Waffe hätten geben können. Das vom Täter benutzte Klappmesser ist nicht aufzufinden. Der Täter hat es vermutlich eingesteckt und mitgenommen.
Auch verräterische Zigarettenstummel lassen sich an dem Ort des Überfalls vom auf sein Opfer lauernden Fratzenmann nicht finden. Möglicherweise ist er ein Nichtraucher.
Dafür entdecken die suchenden Spusi-Leute an einem Busch dunkle Wollfasern, die eventuell vom Kapuzenmantel des Täters stammen. Das zu untersuchen bleibt den Beamten allerdings für später vorbehalten, wenn ihnen eine Gegenprobe des noch aufzufindenden Kleidungsstückes des Maskenmannes zur Verfügung steht.
Fußabdrücke sind im Gras leider nicht erkennbar, zumal es kurz zuvor auch noch geregnet hat, so dass sich nieder getretene Grashalme schnell erholten und wieder aufrichteten.
Die vorhandene Beweislast ist mehr als dürftig, da die geschundene junge Frau selbst bislang nicht zur Tat befragt werden durfte. Das mussten die Ärzte leider im Interesse der schnell zu behandelnden Patientin verweigern. Eine intensive Befragung, die eventuell weitere Hinweise auf den Täter erbringt, steht derzeit noch aus.
Mit diesen bisher vorliegenden Fakten sind die Männer der SOKO Maskenmann äußerst unzufrieden. Und da auch die unmittelbar nach der Alarmierung ausgelöste Ringfahndung keinerlei Ergebnisse brachte, sieht es momentan nicht gerade sehr gut aus.
Hauptkommissar Eberhard Wettig ruft am Tag nach dem Überfall seine Männer im Konferenzraum zusammen, um mit ihnen die Sachlage kurz zu erörtern.
„Meine Herren, ich habe sie heute erstmals in unserer Sache zusammengerufen, um mit ihnen die bisher auf dem Tisch liegenden Fakten zu besprechen. Wir müssen davon ausgehen, dass es sich um einen Einzeltäter handelt, der über eine psychische Störung verfügt. Anders kann ich mir diesen Übergriff nicht erklären, denn ein normal funktionierender Mensch kommt nicht auf eine derartige Idee, eine Frau im Gesicht zu verunstalten. Es ist noch nicht einmal gesagt, dass der Täter strafrechtlich überhaupt zur Rechenschaft gezogen werden kann, sollte er über eine krankhafte Psyche verfügen, die ein Gutachter allerdings erst attestieren müsste. Das ist aber alles noch Zukunftsmusik, denn zunächst muss der Täter erst einmal gefasst werden. Das ist unsere derzeitige Hauptaufgabe.“
Danach fragt der SOKO-Chef die Beamten reihum ab, was bereits an Erkenntnissen bisher vorliegt. Viel ist es nicht. Das weiß er zwar auch so, aber er möchte mit diesem Gespräch seine Leute mehr sensibilisieren, um voran zu kommen.
Dann meldet sich ein Beamter zu Wort, der auf einen besonderen Umstand aufmerksam machen möchte.
„Chef, es ist bislang eine Einzeltat, die wir verfolgen. Es könnte sich allerdings aus dieser Tat heraus ein Serientäter entwickeln, der weitere derartig perfide Taten im Schilde führt. Mein Vorschlag: Auch die umliegenden psychiatrischen Anstalten zu kontaktieren, ob dort eventuell ein psychisch labiler Mensch, vermutlich ein Mann, kürzlich entlassen worden ist. Das könnte eventuell hilfreich sein.“
„Guter Vorschlag.“
Wettig beordert sofort zwei Männer ab, die sich dieser neuen Aufgabe widmen sollen, um auch in dieser Richtung nichts unversucht zu lassen. Dann wendet er sich erneut seinen Beamten zu.
„Leute, ich bitte um um flotte aber umsichtige Arbeit, damit wir kein Detail übersehen, das uns zu dem Täter hinführen könnte. Machen sie sich jetzt bitte wieder an ihre Arbeit.“
Damit entlässt er die Gesprächsrunde. Die Beamten begeben sich zurück an ihre Arbeitsplätze, um keine Zeit zu verlieren.

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Mittwoch, 31. August 2016
Der Killer
Liebe Leserinnen und Leser,

heute stelle ich Ihnen/Euch den dritten Kriminalroman von Jörg van Damme mit dem Titel "Der Killer" vor. Auch er ist sehr spannend geschrieben und verspricht gute Unterhaltung. Einfach mal die Leseprobe nutzen, um sich selbst ein Bild zu machen.



Der unüberhörbare Knall eines Schusses zerreißt die Stille der Nacht in einem Essener Vorort.
Es öffnen sich Fenster und aus dem Schlaf gerissene Bewohner stecken den Kopf heraus, um zu ergründen, was für ein unangenehmes Geräusch das war, das sie soeben vernehmen mussten. An Schlaf ist momentan nicht mehr zu denken, denn irgend etwas muss passiert sein.
Aber was?
Die aus dem Schlaf gerissenen Bewohner dieses Viertels sind verunsichert.
Sollte das wirklich ein Schuss sein?
Und warum ausgerechnet in ihrer Gegend?
Alle rätseln um das lautstarke Geräusch, das ihnen die Nachtruhe raubte. Aber keinem gelingt es, eine schlüssige Antwort zu finden.
Nur einer weiß Bescheid.
Es ist der Killer, der sich auf der Jagd befindet.
Der Killer ist eigentlich nur unter dieser Bezeichnung in den einschlägigen Kreisen bekannt, trägt aber ansonsten einen zivilen Namen, wie jeder andere Bürger auch.
Er heißt Egon Wunderlich.
Für diesen Namen, den er von seinen Eltern bekommen hat, kann der Killer nichts. Aber er ärgert sich manchmal, dass er wie eine Klette an ihm klebt. Es kommt vor, dass Leute, die ihn als ganz normalen Mitbürger kennen und nichts von seinem sonstigen Tun wissen, mitunter frotzeln und damit andeuten, dass sie eigentlich nichts über sein Leben wissen und ihn dann eben als wunderlich bezeichnen. Das mag er natürlich überhaupt nicht, kann sich aber dagegen nicht wehren, sonst müsste er reihenweise Leute umlegen, was ja bekanntlich so einfach nicht möglich ist.
Jetzt steht er unter einem weit herausragenden Baum versteckt im Garten eines Hauses, in dem er einem Spätheimkehrer aufgelauert hat. Dieser Spätheimlehrer ist vor wenigen Minuten eingetroffen und wollte gerade sein Haus betreten. Das hat er allerdings nicht mehr geschafft, denn vor dem Hauseingang steckte ihn ein Gewehrschuss nieder.
Blutüberströmt sinkt der Spätheimkehrer zu Boden. Das Blut sickert in kleinen Schüben aus einer Wunde in der Brust und verfärbt blitzschnell Hemd und Jackett. Der Killer muss eine Hauptschlagader getroffen haben. Hier kommt jedenfalls jede Hilfe zu spät, zumal niemand da ist, der überhaupt einen Notarzt hätte rufen können.
Der Killer hat seinen Auftrag erledigt und fühlt sich für jedwede Hilfeleistung nicht zuständig. So bleibt der Angeschossene vor dem Eingang seines Hauses in einer großen Blutlache liegen und verlässt diese irdische Welt.
Später findet ihn gegen Morgen der Zeitungsbote und verständigt Polizei und Notarzt. Statt des Notarztes ist diesmal allerdings mehr der Bestatter gefragt, der den Leichnam später der Gerichtsmedizin zwecks Autopsie zuführt.
Von dem Killer fehlt jede Spur.
Der arbeitet sehr vorsichtig, um sich nicht zu verraten oder der Polizei einen Hinweis auf seine Person zu hinterlassen, sonst könnte er gleich seine Visitenkarte hinterlegen.
Unbeobachtet gelingt es ihm, seinen Standpunkt unter dem Baum zu verlassen und mit einem abseits unauffällig geparkten Pkw diese Gegend zu verlassen.
Der Tote ist ein nicht sehr bekannter und relativ bescheiden lebender Mann namens Siegfried Liebermann, der tagsüber seinem Beruf als Taxifahrer nach geht. Heute hatte er sich nach Feierabend mal ein paar Biere mehr gegönnt, als ihm zuträglich sind. Das ist auch der Grund dafür, dass er nicht richtig mit bekam, dass ihm jemand ans Leder wollte.
Und nun ist sein Dasein beendet. Ganz einfach so.
Auftraggeber für diesen Mordanschlag ist ein Chirurg, der in der Innenstadt eine Klinik für Schönheitsoperationen betreibt und gelegentlich in seiner Arbeit pfuscht. So ist ihm auch bei dem Mordopfer eine Operation misslungen, die den armen Mann im Gesicht sehr entstellt. Sehr erstellt hat, muss man ja jetzt sagen.
Für den entstandenen Schaden will und kann der verantwortungslose Arzt nicht aufkommen, denn dann müsste er die Kosten selbst tragen, da er bereits zu viel gepfuscht hat und die Versicherung nicht mehr gewillt ist, weitere Schäden zu übernehmen und zu regulieren.
Verheiratet ist der Schönheitschirurg nicht. Hätte sich auch nicht gelohnt, denn dazu wechseln seine Frauenbekanntschaften allzu oft. Er wäre als Lebemann sonst von einer Scheidung in die nächste getappt. Das allein sprach bereits gegen jede engere Bindung, noch dazu staatlich sanktioniert.
Wesentlich besser als seine Arbeit ist der verkorkste Arzt im Auftritt in der gesellschaftlichen Schickeria. Da hat er sich längst einen guten Namen gemacht.
Leider begeht dieser offensichtlich schlecht ausgebildete Schönheitschirurg mindestens so oft Fehler bei seiner Arbeit, wie er seine Frauen wechselt. Und eines seiner Opfer ist der niedergestreckte Taxifahrer, der ihn immer wieder bedrängt hat und auf eine angemessene Entschädigung für dessen Pfusch als Wiedergutmachung drang.
Um sich diesen hochnotpeinlichen Meckerer und unbequemen Mahner, wie der Arzt ihn bezeichnete, endlich vom Hals zu schaffen, hat er für eine größere Summe Geldes den ihn in der Szene empfohlenen Killer engagiert, um den Mann endgültig beseitigen zu lassen.
Der hat nun seine Aufgabe korrekt erledigt und nicht, wie sein Auftraggeber, gepfuscht.
Da es ansonsten still bleibt in diesem Essener Vorortviertel, legen sich die aufgeschreckten Bewohner der umliegenden Häuser wieder zur Fortsetzung ihres unterbrochenen Schlafes nieder.
Der Tote wird erst, wie bereits angedeutet, am anderen Morgen vom Zeitungsboten entdeckt, der sofort die Polizei über sein mitgeführtes Handy alarmiert.
Es war ein ihm völlig Unbekannter, der dem Killer über seine Handy-Nummer, die ihm in der Szene zugespielt wurde, gebeten hat, einen Auftrag für ihn zu übernehmen. Der Killer hat zugesagt, vorausgesetzt, die Bezahlung stimmt.
Der Anrufer gab sich als Schönheitschirurg aus, ohne seinen richtigen Namen zu nennen, und bot dem Killer für das Umlegen eines Mannes, der ihn wegen eines medizinischen Fehlers bei einer Operation an die Gurgel wollte, 20.000,00 Euro.
Das schien ihm sicherer, als sich andauernd von seinem ehemaligen Patienten, den er in der Tat etwas im Gesicht verstümmelt hat, permanent beschimpfen zu lassen. Ja, er musste sogar befürchten, dass der Aufgebrachte mit seinen Vorwürfen und Beschuldigungen sich auch an die Öffentlichkeit wendet. Das könnte schließlich seinen Ruf ruinieren, der ohnehin nicht der beste zu sein schien, denn kleine OP-Fehler waren mitunter an der Tagesordnung. So etwas spricht sich schließlich herum. Hier musste er einfach Abhilfe schaffen, um sein Gesicht wenigstens etwas zu wahren.
Da kam dem Schönheitschirurgen der Zufall zu Hilfe. Er erfuhr von der Existenz dieses Killers und bekam dessen Handy-Nummer. So kam schnell der Kontakt zustande.
Die Hälfte des Geldes hinterlegte der Arzt vereinbarungsgemäß an einer bestimmten Stelle in der Innenstadt. Die restliche Summe soll sich der Killer nach Ausführung seines Auftrages an der gleichen Stelle abholen, aber erst, wenn der Auftraggeber in der Tageszeitung nachlesen konnte, dass die Tat wirklich ausgeführt worden ist.
Die Nachricht von dieser Tat ging noch am gleichen Tage über den Sender und war am anderen Morgen in den Tageszeitungen nachzulesen, so dass dem Arzt keine Möglichkeit verblieb, die Restzahlung länger hinaus zu zögern, wollte er nicht selbst seitens des Killers in Schwierigkeiten verwickelt werden. Also hinterlegt er die restlichen 10.000,00 € in einem Briefumschlag an der vereinbarten Stelle.
Damit war für den Schönheitschirurgen die Angelegenheit ausgestanden und der Killer zufriedengestellt.
Die ganze Angelegenheit beschäftigt jetzt nur noch die Kriminalpolizei, die der Sache pflichtgemäß nachzugehen hat. Sie kommt allerdings mit ihren Ermittlungen nicht vom Fleck, da der Killer übervorsichtig war und keinerlei Spuren hinterließ. Selbst die Kippen seiner Zigaretten, die er während der Wartezeit geraucht hat, ließ er in einem mitgebrachten Schächtelchen verschwinden. Er dachte eben an alles.
Das ist der Grund dafür, dass man diesen gefährlichen Mann bislang nicht hat fassen können.
Die Kripo und insbesondere die Spurensicherung, auch kurz Spusi genannt, kommen in ihrer Ermittlungsarbeit nicht weiter voran.
Egon Wunderlich genießt derweil seine Freiheit.
Grinsend verfolgt er die Nachrichten, die mehrmals davon berichten, dass die Kriminalpolizei in ihren Ermittlungen in diesem Falle nicht einen Schritt weiter voran kommt. Man tritt praktisch auf der Stelle.
Man weiß einfach nicht, wer hier und warum gerichtet wurde.
Und so soll es nach Möglichkeit nach dem Willen des unbarmherzigen Killers auch bleiben.
Der Killer sieht sich hinsichtlich seiner nicht übertriebenen Vorsichtsmaßnahmen in seiner Ansicht bestätigt, man kann nicht vorsichtig genug sein, um unentdeckt zu bleiben.
Das ist seine Maxime.
Die Kripo hat alle Hände voll zu tun und ermittelt in allen möglichen Richtungen, allerdings vorerst leider ohne Ergebnis. In einer internen Besprechung der „SOKO Liebermann“, die eigens für diesen Fall gebildet wurde, musste man sich eingestehen, noch keinen Schritt voran gekommen zu sein.
Die SOKO tappt vorläufig im Dunkeln. Lediglich eine Patronenhülse fand man an der Stelle, wo der Täter gestanden haben muss. Die Patronenhülse deutet auf ein Gewehr als Tatwaffe hin, aus dem der Schuss abgefeuert worden sein muss. Von dieser Waffenart gibt es im Ruhrgebiet sicherlich sehr viele in Gangsterkreisen. So dass eine direkte Zuordnung nicht stattfinden kann. Auch verwertbare Fußspuren ließen sich keine finden.
Mehr ließ sich bisher überhaupt nicht an Fakten zusammenstellen.
Die SOKO Liebermann rotiert weiter und tappt nach wie vor im Dunkeln.

Egon Wunderlich verfolgt aufmerksam alle Zeitungsberichte, die sich mit dem Mordanschlag auf Siegfried Liebermann befassen. Nichts deutet darauf hin, dass die eigens für diesen Fall gebildete Sonderkommission Hinweise gefunden hat, die ihn in die Schusslinie rücken könnten. Er hofft, dass es so bleibt. Schließlich hat er alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um keinerlei Spuren zu hinterlassen.
Ausgenommen die von der Kripo geborgene Patronenhülse, die die SOKO nicht einer bestimmten Waffe zuordnen kann, da ihr keine bekannt ist, die dafür in Frage käme. Diese Hülse in der herrschenden Dunkelheit am Tatort noch rechtzeitig aufzuspüren war ihm, dem Killer, leider in der Kürze der Zeit nicht möglich. Sein Abgang hatte absoluten Vorrang.
Jetzt kommt es darauf an, dass nicht durch einen dummen Zufall sein Gewehr der Kripo, bei irgend einer Kontrolle seines Autos, in die Hände gelangt, denn sonst könnte man die gefundene Patronenhülse, Kaliber 7,65, dieser Waffe zuordnen und vielleicht des Besitzers habhaft werden.
Träte dieser Fall ein, wäre sein weiteres Schicksal soviel wie besiegelt.
Das alles hält unseren Killer namens Wunderlich allerdings nicht davon ab, sich weiteren Aufträgen zu widmen. Geld kann man immer gut gebrauchen, je mehr desto besser. Und die Quoten in seinem Geschäft bewegen sich stets im fünf- bis sechsstelligen Bereich vor dem Komma. Je nach Schwierigkeitsgrad des Auftrages und der finanziellen Situation des Auftraggebers.
Natürlich kann sich Wunderlich die Aufträge nicht so einfach an Land ziehen, wie er es gerne möchte, sondern muss schön warten, bis sich ihm ein entsprechendes Angebot präsentiert., Da kann es ungewollt zu tagelangem ausharren kommen, ehe sich mal wieder ein potentieller Kunde per Handy meldet.
Schließlich ist Wunderlich noch relativ jung im Revier, da er vor nicht allzu langer Zeit erst hier eingewandert ist. Da spricht sich seine Prepaid-Handy-Nummer nur langsam herum. So war der Auftrag, das Opfer des Schönheitschirurgen
umzulegen, sein erster im Ruhrgebiet.
Sozusagen die Feuertaufe im Westen.
Bevor er ins Ruhrrevier wechselte, legte er seine Opfer im Großraum München um. Dort ging zwar alles glatt und er wurde nie geschnappt, aber allmählich wurde ihm dort der Boden doch etwas zu heiß unter den Füßen. Und man soll ja bekanntlich nicht etwas herausfordern, was nicht unbedingt herausgefordert werden muss.
Daher sein dortiger Abgang.
Seine Arbeitsverlagerung in die Ruhrmetropole schien ihm da der einzige machbare Weg mit Aussicht auf weitere Aufträge. Hier kann er jetzt wieder weitgehendst ungestört seinem blutrünstigen Handwerk nachgehen, solange er sich weiterhin vorsichtig genug verhält.

Eines schönen Tages erreicht ihn ein Anruf, mit dem er anfänglich nichts anzufangen weiß.
„Stimmt die Handy-Nummer?“
Der Killer kann sich keinen Reim auf diese Frage machen.
„Wieso?“, fragt er zurück.
„Nur so. Ich will sicher gehen.“
„Was soll das heißen?“
„Sind sie der Mann, der mit bestimmten Dingen gut umzugehen versteht?“
„Wenn sie mich so fragen, muss ich mit einem klaren 'Ja' antworten.“
„Dann sind sie der Mann, der hier unter dem Namen 'Killer' läuft?“
„Meine Güte, sie stellen aber eine Menge blöder Fragen. Kommen sie doch einfach kurz und schmerzlos auf den Punkt. Das spart Zeit. Was wollen sie?“
„Ich hätte da einen Auftrag für sie. Würde eine Menge Geld bei herausspringen. Hätten sie eventuell Interesse an dem Auftrag?“
„Bedenken sie bitte, dass man seitens der NSA und eventuell auch von deutscher Seite unsere Apparate abhören dürfte. Formulieren sie mir bitte ihren Auftrag, den ich sicher gerne übernehmen werde, sofern mir das Honorar angemessen erscheint, schriftlich.“
„Kein Problem, aber wie erreiche ich sie schriftlich?“
„Schreibens sie alles präzise nieder und stecken sie dann das Schreiben in einen roten Umschlag. Den kleben sie sorgfältig zu und werfen ihn dann am kommenden Mittwoch um 12.00 Uhr mittags in den Papierkorb am Haupteingang des Essener Hauptbahnhofs, Südseite. Auf dem Umschlag vermerken sie lediglich als Stichwort 'Eilt' und vergessen sie nicht, mir einen angemessenen finanziellen Vorschlag zu unterbreiten. Den werde ich zuerst als Verhandlungsbasis betrachten. Alles weitere später.“
„Einverstanden.“
„Und noch etwas: Vergessen sie nicht, mir eine Kontakt-Handy-Nummer mitzuteilen, damit ich sie erreichen kann. Aber bitte von einem Prepaid-Handy.“
„Wird alles wunschgemäß erledigt. Danke für ihre Zusage.“
„Stopp, mein lieber Freund. Das ist längst noch keine Zusage meinerseits. Ich muss den Auftrag erst prüfen, ehe ich mich endgültig entscheide. Aber ich verspreche ihnen, dass ich nichts auf die lange Bank schiebe. Tschüss.“
Damit ist das Telefonat beendet.
Dem Killer winkt hier nicht nur ein lukrativer Auftrag, sondern vermutlich auch eine Menge Arbeit, denn so, wie er zwischen Sätzen herausgehört hat, muss es schon ein größeres Objekt sein. Die Stimme am Handy klang kernig und voller Willenskraft. Der Mann weiß, was er will. Aber das weiß der Killer auch.

Am nächsten Mittwoch schlendert der Killer gemütlich durch Essens Innenstadt und kommt rein zufällig gegen 12.00 Uhr am Südportal des Hauptbahnhofes vorbei. Er begibt sich an einen in der Nähe befindlichen Stand und verharrt, um von dort den Briefeinwerfer zu beobachten.
Der erscheint tatsächlich pünktlich auf der Bildfläche und entledigt sich eines roten Briefumschlages, den er lässig dem Papierkorb anvertraut. Er bleibt noch einen Moment neben dem Papierbehälter stehen und schaut sich dann um, ob er eventuell jemanden entdecken kann, der sich des Briefes bemächtigen könnte.
Aber niemand ist in Sicht, der für den Auftraggeber als Killer in Frage käme. Außerdem weiß er gar nicht, wie er aussieht. Deshalb erübrigt sich weiteres Warten.
Der Auftraggeber ist sich aber sicher, dass der Killer ihn genau im Visier hat. Und da liegt er total richtig. Egon Wunderlich hält sich tatsächlich in der Nähe auf und weiß nun exakt, wie sein Gegenspieler aussieht.
Immerhin ein sehr elegant gekleideter Herr mittleren Alters, der gepflegt aussieht und – dem Äußeren nach zu urteilen – ein sehr einflussreicher Mann zu sein scheint, der genau weiß, was er will. Ein Mann mit großen Führungsqualitäten.
Der Killer beobachtet, wie sich der Auftraggeber, dessen Namen er bis heute nicht kennt, in östlicher Richtung zu Fuß entfernt. Vermutlich wird er irgendwo seinen Wagen bereit stehen haben und einsteigen, damit ihn sein Fahrer wieder ins Büro zurück bringen kann.
Jetzt passt der Killer auf wie ein Lux, denn wehe, es würde ein Obdachloser oder eine andere Person da im Vorbeigehen aus Neugierde hinein greifen und den roten Brief aus dem Papierkorb ans Tageslicht befördern.
Nachdem der Auftraggeber außer Sichtweite ist, begibt sich Wunderlich zum Südportal hinüber und stellt sich unauffällig neben den Papierkorb. Er zieht ein kleines Papierknäuel aus der Hosentasche und tut so, als wolle er es einwerfen. Dabei nimmt er geschickt den roten Umschlag an sich, schiebt ihn in seine Brusttasche und verlässt langsam seinen Standort.
Er begibt sich auf die U-Bahn-Ebene und besteigt eine Straßenbahn, die ihn nach Hause fahren soll.
Jetzt ist er neugierig, was ihm der Auftraggeber da wohl mitteilt.
Daheim an gekommen, steckt sich der Killer zunächst erst einmal in aller Ruhe eine Zigarette an, schenkt sich einen Whisky ein und setzt sich dann an seinen Schreibtisch, um nun endlich das Geheimnis des roten Briefumschlages zu lüften.
Der Briefumschlag enthält ein zweimal gefaltetes Blatt Papier der Größe DIN A4. Als er es aufgeklappt hat, sieht er nur wenige Schreibmaschinenzeilen, die den Auftrag beschreiben. Und ein Foto liegt bei. Es zeigt vermutlich die Zielperson.
Der Text lautet:
„Es handelt sich um Herrn Gerhard Blaukorn, Mitinhaber der Firma Illuka. Foto anbei. Wert: 50.000,00 €.“
Und dann ist da noch eine Handy-Nummer vermerkt. Ansonsten nichts. Nicht einmal eine Unterschrift.
Der Killer überlegt nur kurz. Der Preis ist akzeptabel. Also, denkt er sich, den Auftrag kannst du an nehmen.
Er greift zum Handy und ruft die mitgeteilte Nummer an. Der Angerufene meldet sich ohne seinen Namen zu nennen.
„Ja bitte?“
„Ich bin's. Brief erhalten. Auftrag nehme ich an. Ausführung in den nächsten Tagen. Muss erst noch die Person genau studieren. Die Hälfte des Geldes bitte sofort in einem Schließfach am Bahnhof deponieren. Den Schlüssel hinterlegen sie bitte in einem Briefumschlag beim Portier im Hotel 'Handelshof' auf den Namen 'Günter Weiß'. Den Restbetrag auf die gleiche Weise nach gelungener Ausführung des Auftrages, über den sie dann alles der Presse entnehmen können. Verstanden?“
„Ja. Machen sie's gut.“
„Werde ich. Tschüss.“
Damit ist die Konversation mit dem Auftraggeber beendet.

Der Auftraggeber, ein an sich sehr seriöser Geschäftsmann, jetzt allerdings etwas auf Abwegen, geht sofort daran, sich bei der Bank von seinem Privatkonto 25.000,00 € zu besorgen, um das Geld in einem Schließfach am Hauptbahnhof zu hinterlegen. Den Schlüssel steckt er in einen Briefumschlag, schreibt auf den Umschlag den Namen „Günter Weiß“ und begibt sich zum Hotel „Handelshof“.
Der höfliche Portier wendet sich dem vermeintlichen neuen Gast zu.
„Mein Herr, was kann ich für sie tun?“
Ich habe eine Bitte. Heute oder morgen wird sich bei ihnen ein Gast melden mit dem Namen Günter Weiß. Für ihn ist dieser Briefumschlag
bestimmt. Wären sie so nett und würden dem Herrn bei seiner Ankunft den Briefumschlag aushändigen?“
„Aber gerne, mein Herr.“
Damit übergibt er dem Portier den Briefumschlag, bedankt sich herzlich und verlässt das Hotel.
Der Killer will sicher gehen und überprüfen, ob sich sein Auftraggeber auch tatsächlich an seine Anweisungen hält, und hat sich deshalb
in der Nähe des Hotels unauffällig postiert. Und da er den Auftraggeber bereits vom Ansehen kennt, ist es für ihn nicht schwierig, ihn zu identifizieren.
Tatsächlich taucht der Auftraggeber noch am gleichen Tag vor dem Hotel „Handelshof“ auf und begibt sich zum Portier, dem er den Briefumschlag übergibt. Jetzt weiß Wunderlich, dass der Auftrag ernst gemeint ist, wartet noch eine Weile ab und betritt dann das Foyer des Hotels. Höflich begrüßt ihn der diensthabende Portier.
„Guten Tag, mein Herr. Was kann ich für sie tun?“
„Ich habe hier in der Stadt zu tun und wollte ursprünglich bei ihnen übernachten. Inzwischen hat es sich leider jedoch ergeben, dass ich noch heute Abend heimfahren muss. Es könnte sein, dass ein Freund mir eine Nachricht bei ihnen hinterlassen hat, und zwar auf den Namen Günter Weiß.“
„Ich bedauere, dass sie nicht bei uns übernachten können, aber in der Tat, hier wurde vorhin ein Brief für sie deponiert. Moment bitte, ich hole ihn sofort.“
Damit dreht sich der Portier um, greift in ein Fach, zieht den bewussten Briefumschlag hervor und überreicht ihn dem Fragesteller. Der bedankt sich höflich, steckt den Briefumschlag
ein und verlässt das Hotel.
Draußen reißt er den Umschlag auf und entnimmt ihm einen Schlüssel. Es ist der Schlüssel eines Schließfaches des Essener Hauptbahnhofes. Eiligst begibt sich Wunderlich zum Bahnhof hinüber und sucht das entsprechende Schließfach mit der Nummer 23.
Das Schließfach ist schnell gefunden. Der Killer öffnet es und zieht einen dicken Briefumschlag heraus, der die gewünschten 25.000,00 € enthält. Nur unauffällig kann er einen Blick in den Umschlag werfen, damit keiner der Passanten des Inhaltes ansichtig werden kann. Schnell schließt er den Umschlag und steckt ihn in seinen Aktenkoffer.
In aller Gemütsruhe verlässt er den Bahnhof und begibt sich nach Hause. Erst hier hat er die Möglichkeit, den Geldbetrag durchzuzählen und auf Vollständigkeit zu überprüfen. Es sind alles Scheine mit sehr unterschiedlichen Seriennummern, also keine fortlaufenden nummerierten und registrierten Scheine. Der Auftraggeber hat umsichtig gehandelt. Wunderlich stuft ihn als „geschäftsfähig“ ein.
Damit ist der Auftrag angenommen.

Am anderen Morgen nach einem guten Frühstück macht sich Wunderlich daran, sich in aller Ruhe das mitgelieferte Foto anzuschauen und das Gesicht des auf ihm befindlichen Mannes genau einzuprägen. Es ist ein an sich sehr sympathisches Gesicht, das ihn da anschaut. Schade um den Mann, denkt der Killer, dem das aber egal sein kann. Irgend etwas wird der Mann schon angestellt haben, um von der Bildfläche verschwinden zu müssen. Den genauen Grund will er gar nicht wissen.
Auftrag ist Auftrag.
Nun zieht Wunderlich das örtliche Telefonbuch heran und sucht nach der Adresse der Firma, der die Zielperson angehört. Irgendwo muss er ja mit der Suche beginnen. Als er sich die Anschrift notiert hat, steckt er das Telefonbuch wieder ins Regal zurück und begibt sich daran, die weiteren Vorbereitungen für seinen Auftrag zu treffen. Diesmal bedarf es für diesen speziellen Fall eines Gewehres mit Zielfernrohr und Schalldämpfer, das er zum Einsatz bringen will.
Er kann der Zielperson ja nicht in dessen Büro gegenüber treten und per Pistole erschießen, das würde sein Berufsende sein, denn man würde ihn garantiert schnell fassen. Diesen Auftrag muss er über eine größere Distanz erledigen. Das ist ihm längst klar. Er muss nur noch den richtigen Standort erkunden, von dem aus ein gezielter Schuss gelingen kann.
Also begibt sich Wunderlich in die Innenstadt und sucht die Firma Illuka. Mehrfach umrundet er den Häuserblock und prägt sich alle Ein- und Ausgänge ein, durch die jemand die Firma entweder betreten oder wieder verlassen kann.
Als er über die Lage des Unternehmens genügen informiert ist, widmet er sich der Firma direkt, um sie auch von innen näher kennen zu lernen. Er betritt das Gebäude und sieht sich hier etwas näher um. Ungehindert kann er sich bewegen und erkundet, wo sich die Geschäftsleitung befindet. Er stellt fest, dass die Fenster der Chefbüros zur Straßenseite liegen. Das lässt ihn hoffen, die Zielperson von der gegenüber liegenden Straßenseite aus sehen zu können. Schnell begibt er sich wieder nach draußen, um hier nicht weiter jemandem aufzufallen.
Als der Killer die Straße betreten hat, wendet er sich der anderen Straßenseite zu. Das Haus gegenüber bietet sich von der Lage her geradezu an, von dort aus sich des Auftrages zu entledigen.
Wunderlich betritt das Haus und begibt sich auf den dortigen Dachboden. Von hier oben aus kann er gut die Fenster von Illuka einsehen. Hinter einer relativ niedrigen Balustrade lässt es sich trotz allem einigermaßen gut verstecken. Er legt sich lang und beobachtet mit einem mitgebrachten Fernglas die Fenster von Illuka.
Hinter einem Fenster im vierten Stock kann er tatsächlich die gewünschte Zielperson entdecken. Der Mann sitzt an seinem Schreibtisch und telefoniert. Wunderlich prägt sich die Lage des Fensters genau ein und verschwindet wieder nach unten.
Für heute will er es genug sein lassen. Morgen ist auch noch ein Tag.

Am nächsten Tag verstaut Wunderlich ein aus seiner Waffensammlung besonders geeignetes Gewehr in einer großen Hülle, die er auf dem Rücken tragen kann. Sie lässt eher eine Anglerausrüstung als eine Waffe darin vermuten.
So bewaffnet macht er sich erneut auf den Weg zu dem Haus, das der Fa. Illuka gegenüber liegt. Unbehelligt gelangt er über den Aufzug und die letzten Treppenstufen zum Dach hinauf. Dort bezieht er Position und beobachtet aufmerksam die Häuserfront von Illuka.
Der Blick durchs Fernglas richtet sich genau auf das Fenster, hinter dem die Zielperson residieren müsste. Allerdings scheint sie momentan nicht an ihrem Platz zu sein. Der Killer kann nichts erkennen, was auf die Anwesenheit der Zielperson hindeutet. Jetzt heißt es abwarten. Irgend wann muss der Mann ja mal in seinem Büro auftauchen, sofern er überhaupt im Hause anwesend ist. Er ist anwesend. Hätte er sich auf Dienstreise begeben, hätte ihn sein Auftraggeber sicherlich entsprechend informiert. Also heißt es weiterhin abwarten.
Fast eine Stunde vergeht, in der nichts geschieht. Der Killer bleibt trotzdem in voller Konzentration. Unaufmerksamkeit wäre jetzt fehl am Platze. Und dann taucht die Zielperson tatsächlich in ihrem Büro auf.
Der Mann begibt sich zunächst an seinen Schreibtisch und geht dann, mit einem Handy in der Hand, hinüber zum Fenster, um einen Blick hinaus auf die Straße zu richten. Er ahnt nicht, dass er sich gerade in die bestmöglichste Schussposition für den Killer gebracht hat.
Der Killer ist bereit, den finalen Schuss anzubringen. Er rückt sein Gewehr mit aufgesetztem Schalldämpfer zurecht, zielt genau auf die Brust der Zielperson und drückt ab.
Fast lautlos und vom Straßenlärm überdeckt verlässt die Kugel den Gewehrlauf, durchschlägt das Fenster im gegenüber liegenden vierten Stock und trifft genau das Herz des anvisierten Mannes, der samt seinem in der Hand befindlichen Handy blutüberströmt zu Boden sinkt. Mitten im abbrechenden Gespräch hört der Gesprächspartner am anderen Ende den Schuss und vernimmt dann nur noch den Fall des Mannes. Danach tritt Funkstille ein.
Der Killer packt blitzschnell seine Sachen ein und verlässt den Dachboden so, wie er gekommen ist. Kein Mensch bemerkt ihn, wie er sich wieder auf die Straße begibt und unerkannt im Gewühl der Menschen verschwindet.
Der Killer hat seinen Auftrag erledigt.
Die Vorzimmerdame der Zielperson hat das Splittern der Fensterscheibe und den dumpfen Fall im Nebenzimmer vernommen und eilt in das Büro ihres Chefs, den sie blutend aber leblos auf dem Boden liegend vorfindet. Nur eine zersplitterte Fensterscheibe deutet darauf hin, dass der Mann von draußen erschossen worden sein muss. Die Sekretärin stößt einen lauten Schrei aus und ruft um Hilfe.
Der Schrei der Sekretärin wird von einigen benachbart untergebrachten Mitarbeitern vernommen, die sofort neugierig herbei laufen.
Alle sind betroffen von dem Anblick, der sich ihnen im Büro des Mitinhabers der Fa. Illuka bietet.
Ein beherzter Mitarbeiter greift zur Halsschlagader, um zu prüfen, ob noch Leben in dem Körper steckt, muss aber erkennen, dass hier wohl nichts mehr zu machen ist. Er zieht sein Handy aus der Tasche und ruft über die 110 die Polizei und bittet um die Entsendung eines Notarztes und Rettungswagens. Der Notarzt kann nach seinem Eintreffen nur noch den Tod des Mannes feststellen. Eine Bestattungsfirma wird von der Polizei beauftragt, den Leichnam der Pathologie zuzuführen. Hier kann für ihn jedenfalls nichts mehr getan werden.
Inzwischen ist auch der eigentliche Auftraggeber dieses eiskalten Mordes am Tatort aufgetaucht und heuchelt blankes Entsetzen über den plötzlichen Tod seines Mitinhabers.
„Das ist ja schrecklich. Wer macht denn nur so etwas? Wem hat er denn im Wege gestanden? Meines Wissens hat er doch keinen Feinde?“
Langsam drängt er die gaffenden Mitarbeiter zurück und schafft Platz für die Arbeit der Polizei, die ihrerseits jetzt alles absperrt und der Spurensicherung die weitere akribische Arbeit überlässt.
Der leitende Kriminalbeamte vor Ort wendet sich an den Geschäftsinhaber und bittet ihn ins Vorzimmer, wo sie sich beide ungestört unterhalten können. Die völlig verstörte Vorzimmerdame hat ein Kollege des Erschossenen zur Erholung von dem Schrecken zuvor nach Hause geschickt.
„Verraten sie mir bitte zunächst ihren Namen und ihre Position in diesem Unternehmen.“
Der Angesprochene ist der Auftraggeber dieses Mordes, nur kann er dies dem ihn befragenden Beamten nicht eingestehen. Das ist sein Geheimnis, denn er wollte sich nur den Teilhaber vom Hals schaffen, da der immer raffgieriger wurde.
„Mein Name ist Dr. Eberhard Litzow. Ich bin der Inhaber der Fa. Illuka. Der Tote ist, eh, war mein Teilhaber.“
„Gibt es außer ihnen beiden noch weitere Miteigner?“
„Nein.“
„Seit wann existiert die Firma und war der Tote von Anfang an dabei?“
„Ich habe das Geschäft 1995 gegründet. Mein Freund Blaukorn trat erst vier Jahre später in die Firma ein. Er übernahm 49 % der Geschäftsanteile. Wir produzieren Elektronikteile und vertreiben sie hauptsächlich an Autofirmen in aller Welt. Das Geschäft boomt. Wir haben keine Probleme, weder bezüglich der Herstellung noch in finanzieller Hinsicht. Unsere Auftragsbücher sind voll.“
„Wie standen sie zu Herrn Blaukorn?“
„Wir waren sehr gut befreundet, sonst hätte ich ihn nicht in die Firma aufgenommen. Außerdem verkehren wir auch familiär miteinander.“
Während des Gespräches wird von zwei Männern einer Bestattungsfirma die Leiche an ihnen vorbei aus dem Zimmer getragen. Die Spusi hat relativ wenig Arbeit, da sich ja kein Täter direkt im Haus befand. Sie muss sich jetzt des Hauses gegenüber annehmen, um dort eventuelle Spuren sicher zu stellen.
„Gab es zwischen Herrn Blaukorn und ihnen eventuell Probleme in menschlicher Hinsicht?“
„Nein, wir verstanden uns immer prächtig. Wenn wir Probleme zu lösen hatten, dann handelte es sich stets um firmentechnische, die wir aber immer einvernehmlich lösen konnten.“
„Was mich noch interessiert: Wem fallen jetzt die 49 % der Geschäftsanteile zu?“
„Es existiert ein Vertrag, der alles genau regelt, auch in Todesfällen. Die Geschäftsanteile fallen automatisch mir als eigentlichem Firmengründer zu. Allerdings erhalten die Witwe und ihre Kinder monatliche Zuwendungen. Auch das ist vertraglich festgelegt.“
„Und wie wäre es im umgekehrten Falle, würde ihnen etwas zustoßen?“
„Genauso.“
„Gut. Vielleicht komme ich später noch einmal auf sie zu. Für heute können wir das Gespräch abschließen. Sie müssten allerdings noch einmal zu uns ins Präsidium kommen, um das Protokoll zu unterschreiben.“
„Selbstverständlich. Wann passt es ihnen?“
„Sagen wir morgen im Laufe des Vormittags. Einer meiner Beamten wird sich dann ihrer annehmen, falls ich selbst nicht anwesend sein sollte.“
„Abgemacht. Ich werde so gegen 11.00 Uhr dort erscheinen.“
Der Kripobeamte reicht dem Firmeninhaber die Hand und verabschiedet sich.
„Dann bis morgen. Auf Wiedersehen.“
„Auf Wiedersehen.“
Dann zieht sich der Kripobeamte zurück. Jetzt beginnt für ihn und seine Mitarbeiter das Rätseln um den Grund des Anschlags. Auf den ersten Blick lassen sich keinerlei Anhaltspunkte erkennen, die jemanden innerhalb des Unternehmens verdächtig machen.
Eine schreckliche Tat, die allen Rätsel aufgibt.
Der Killer kann sich in Sicherheit wiegen, denn ihn hat zur Tatzeit niemand gesehen und Spuren hat er ebenfalls keine hinterlassen. Nicht einmal Fußabdrücke, denn er trägt bei seinen Tatausführungen stets leichtes Schuhwerk mit glatter Sohle, so dass sich kein Profil abdrücken kann.
Für ihn ist das Geschäft zunächst abgewickelt.
Er muss nur noch die vereinbarte zweite Rate in Höhe von 25.000,00 € abkassieren, dann ist für ihn alles sauber abgehakt.
Nur die Kriminalpolizei hat noch eine Menge Arbeit vor sich, kommt aber leider nicht von der Stelle. Es ist eine rätselhafte Tat mit einem noch rätselhafteren Täter.
Aber das interessiert den Killer alles nicht mehr. Er hält sich für die nächste Zeit bedeckt.

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Dienstag, 2. August 2016
Der Boss
Nach dem ersten Band „Der Fuchs“ wird hier nun der zweite Band mit dem Titel „Der Boss“ von Jörg van Damme vorgestellt. Auch dieser Krimi verspricht echten Lesespaß, denn er ist bis zum Schluss spannend geschrieben und schildert das Milieu des sogenannten Bermuda Dreiecks in der Ruhrmetropole Bochum. Eine rumänische Gang hat es darauf abgesehen, hier einzudringen und mindestens eine Übernahme zu vollziehen. Aber hier erst mal wieder die Kurzbeschreibung des Romaninhaltes:

Im Bochumer Rotlichtviertel Bermuda-Dreieck führt Emil Ellermann ein hartes Regiment über seine Männer, die ihm aufs Wort gehorchen. Sein Edelbordell „Amore“ ist der Mittelpunkt aller seiner Aktivitäten. Von dort aus lenkt Ellermann, genannt „Der Boss“, seine sämtlichen Aktivitäten, die sich über die Geschäftsfelder Prostitution, Schutzgelderpressung, Waffen- und Mädchenhandel erstrecken. Ein rumänischer Clan schmiedet in Bukarest den Plan, in das ertragreiche Bochumer Bermuda-Dreieck einzudringen und den Ellermann-Clan zu übernehmen. Bei den Vordringungsversuchen geraten die Rumänen wiederholt der Polizei ins Netz. Der aus Siebenbürgen stammende hartgesottene Deutsch-Rumäne Ivo Patschick wird dann vorgeschickt, um die Übernahme endlich voranzutreiben.



Und hier nun die Leseprobe:

Bochum.
Laut und unüberhörbar peitscht ein Schuss durch die ansonsten ruhige Nacht. Dieser Schuss zerreißt die Stille, die bis jetzt über der Ruhrgebietsstadt lag. Nun tritt Unruhe im Wohngebiet neben dem Güterbahnhof ein. An verschiedenen Fenstern zeigt sich Licht. Besorgte Bürger springen aus dem Bett und sehen nach, was da wohl geschehen sein könnte, aber die schwarz verhangene Nacht gibt ihnen die Sicht nicht frei. Außerdem sind die aus ihrem Schlaf gerissenen Bewohner dieser Gegend vom eigenen Licht so geblendet, dass es ihnen nicht möglich ist, draußen etwas zu erkennen.
Paul Ebert, ein älterer aufgeregter Pensionär, der ohnehin schlecht schlafen kann, schreckt hoch. Er steht schnell auf, schlüpft in seine Pantoffeln und geht zum Telefon hinüber, das sich auf einem kleinen Tischchen in der Nähe seines Bettes befindet. Er greift zum Hörer und wählt geistesgegenwärtig die 110, den ihm bekannten polizeilichen Notruf.
„Hier ist die Polizei. Was kann ich für sie tun?“
„Hallo, hier ist gerade ein Schuss in der Straße gefallen.“
In seiner Aufregung formuliert Ebert allerdings nicht alles so, wie es der aufnehmende Polizeibeamte gerne gehört hätte, um genau im Bilde zu sein.
Ebert meldet dem fragenden Beamten am anderen Ende der Leitung zwar den soeben gehörten Schuss, kann aber über Einzelheiten leider keine Auskunft geben. Bei kurzer Nachfrage erfährt der Polizeibeamte wenigstens noch Paul Eberts Namen und dessen Adresse.
„Herr Ebert, bewahren sie bitte Ruhe und zeigen sie sich nicht am Fenster. In wenigen Minuten sind meine Kollegen vor Ort und klären den Sachverhalt.“
Der nachtdiensthabende Polizeibeamte schaut auf die Uhr. Seine Telefonanlage hat den Anruf exakt um 23.37 Uhr aufgezeichnet. Schnell schaltet er sich an seinem Pult in eine andere Leitung, mit der er sofort die diensthabende Kriminalwache erreicht.
„Was gibt’s“, fragt der angerufene Kollege, dem klar ist, dass damit die nächtliche Ruhe im Revier vorbei sein dürfte.
„Ein Notfall in der Nähe des Güterbahnhofs. Dort fiel ein Schuss. Ein besorgter Anwohner hat mir das soeben gemeldet. Schaut mal nach, was dort los ist.“
Und dann gibt der Mann der Leitstelle dem Kollegen der Kriminalwache den Namen des Anrufers und dessen exakte Adresse durch.
„Danke, Kollege. Wir machen uns sofort auf den Weg.“
Der Leiter der Kriminalwache und zwei weitere in Bereitschaft stehende Beamte greifen zu ihren Dienstwaffen, ziehen ihre dicken Jacken über und begeben sich eilenden Schrittes hinaus zu ihrem Funkwagen.
Es ist eine nicht ganz so angenehme Nacht, die das Ruhrgebiet umhüllt. Leichter Nieselregen tropft auf die Stadt herab. Hier und da bilden sich kleine Pfützen, in denen sich die Leuchtreklamen spiegeln. Wer nicht gerade mit seinem Hund mal vor die Haustür muss, der bleibt besser daheim in seiner warmen Wohnung. Um diese späte Stunde ohnehin. Höchstens Spätheimkehrer, die aus einem Lokal kommen und nach Hause wollen, trauen sich auf die Straße. Notgedrungen.
Der Funkwagen fädelt sich mit laufendem Blaulicht schnell in den fließenden Verkehr ein. Hier und da, wo es dem Lenker des Wagens als notwendig erscheint, betätigt er das Martinshorn, um bestimmte Kreuzungen unfallfrei und ohne Verzögerung passieren zu können. In rasender Fahrt nähert sich der Funkwagen der angegebenen Adresse.
Der Streifenwagen hält an. Die Beamten entsteigen ihrem Fahrzeug und versuchen in der Dunkelheit etwas auszumachen. Ihre Bemühungen werden nicht belohnt. Sie schauen in alle Richtungen, entdecken aber nichts.
Da meldet sich der Führer der Gruppe.
„Leute! Hier werden wir kaum etwas finden. Zwar hat ein Einwohner einen Schuss gehört, aber er konnte uns leider nicht angeben, aus welcher Richtung der kam. Wir müssen uns etwas im weiteren Umkreis umschauen. Ausschwärmen! Haltet bitte Kontakt untereinander und zu mir über Funk. Die Frequenz ist euch ja bekannt.“
Lautlos entfernen sich die beiden Beamten in verschiedene Richtungen. Sie nähern sich von unterschiedlichen Seiten dem benachbarten Güterbahnhofsgelände. Hier werfen wenigstens in regelmäßigen Abständen Laternen ihr schwaches Licht auf die Gleise. Aber zu erkennen ist da auch nicht viel. Die abgestellten Güterzüge und einzelne Waggons sind alles, was die Beamten erspähen. Keinerlei besondere Auffälligkeiten. Sie arbeiten sich näher an die Waggons heran.
Da entdeckt einer der Beamten einen reglosen dunklen Körper zwischen zwei Güterwagen, gleich auf dem vordersten Gleis. Er geht mit gezogener Waffe, sich dabei sichernd immer wieder umschauend, auf das Objekt zu.
Als er endlich die bewusste Stelle erreicht hat, sieht er, dass es ein Toter ist, der da vor ihm liegt. Zur Vorsicht tastet er nach der Halsschlagader, um zu prüfen, ob nicht doch noch etwas Leben in dem Mann steckt, muss aber feststellen, dass seine erste Wahrnehmung die richtige war. Der Schuss muss sofort tödlich gewesen sein, denn von einem weiteren ist nichts bekannt.
Er greift zu seinem Funkgerät und meldet seine Erkenntnis seinen beiden Kollegen, die nun wissen, wo sich ihr dritter Mann befindet und eilen zu ihm.
„Nichts anfassen. Ich rufe den Arzt und die Spurensicherung“, meldet sich der Leiter der Nachtwache, Oberkommissar Erwin Peters, über die verabredete Frequenz.
„Bin gleich bei euch.“
Die Männer der Kriminaltechnischen Untersuchungsstelle, kurz KTU genannt, sind 15 Minuten später vor Ort. Fast zeitgleich trifft der Polizeiarzt ein und nimmt seine erste Untersuchung vor.
„Ein glatter Herzdurchschuss“, gibt er seine erste Erkenntnis von sich. „Soweit ich feststellen kann, offenbar aus nächster Nähe abgefeuert. Die Kugel ist hinten wieder ausgetreten.“
Die Todeszeit steht ohnehin fest und bedarf keiner besonderen Rückrechnung, denn der Zeitpunkt des Anrufes ist im Polizeipräsidium auf Tonband festgehalten.
In den Taschen des Toten entdeckt der Arzt nur unwesentliche Gegenstände, wie ein Taschentuch, ein Feuerzeug, eine Schachtel Zigaretten Marke „Lucky Strike“ und eine Geldbörse, die lediglich 12,50 € enthält. Ein Personalausweis ist nicht vorhanden.
„Das sieht mir hier nicht nach einem Raubmord aus, denn der Tote scheint seinem Aussehen nach nicht mit Reichtümern gesegnet gewesen zu sein. Sieht eher wie eine Exekution aus, zumal der Schuss, so wie es sich mir darstellt und ich es bereits sagte, aus kürzester Entfernung abgegeben worden sein muss. Die Kugel ist hinten wieder ausgetreten, war am Fundort aber nicht aufzufinden. Später mehr, wenn ich den Mann auf meinem Tisch habe.“
Eine erste kurze Einschätzung des Polizeiarztes, die er da verkündet.
Ein Bestatter wird beauftragt, die Leiche zunächst in die Pathologie zu schaffen, damit dort die notwendige Autopsie durchgeführt werden kann. Mehr ist vor Ort nicht zu tun. Der Tatort ist durch Fotos, die auch über die genaue Lage des Toten später Auskunft geben können, soweit gesichert. Den Rest erledigt die Spurensicherung, kurz Spusi genannt.
Um die Leiche zu identifizieren, hat die Spusi noch am Tatort Fingerabdrücke dem Toten abgenommen. Man vermutet, dass es sich um einen Gangster handelt, der aus irgend einem Grund dem Clan, dem er vermutlich angehörte, aus dem Ruder gelaufen ist. Was sonst soll ihn ausgerechnet in die unwirtliche Gegend des Güterbahnhofes getrieben haben? Bei dieser Wetterlage können es nur liebe Kollegen von ihm gewesen sein, die sich erhoffen, dass der leichte Regen so manche Spur verwischt.
Falsch gedacht.
Der Spurensicherung entgeht nichts. Mit größter Akribie bemüht sie sich stets, alles ans Tageslicht zu befördern, was es überhaupt nur zu entdecken gibt. So auch in diesem speziellen Fall, der vorerst noch einige Rätsel den Beamten auf gibt.
„Wenn der Körper des Toten einen glatten Durchschuss erlitten hat“, meldet sich einer der Spusi-Männer, „dann müsste hier irgendwo ein Projektil zu finden sein. Ich kann aber keines finden. Mir scheint eher, man hat den Toten hier nur abgelegt, um vom eigentlichen Tatort, der sich ganz wo anders befindet, abzulenken. Da sollte die Körpertemperatur doch noch einmal genauer untersucht werden. Vielleicht lassen sich daraus zeitliche Abläufe errechnen.“
Oberkommissar Peters greift diesen Hinweis sofort auf und telefoniert dem bereits abgerückten Arzt hinterher, um ihn auf die neue Erkenntnis aufmerksam zu machen.
„Habe verstanden. Schaue mir gleich morgen früh den Leichnam genauer an. Heute wird das nichts mehr. Ich bin jetzt müde. Der Tote läuft mir ja nicht weg.“
Peters hätte gerne ein schnelles Ergebnis vom Arzt über den möglichen Todeszeitpunkt erhalten, versteht aber dessen Einwand und akzeptiert ihn. Er ist selbst müde und hofft, dass seine Schicht bald um ist. Sollen doch die Kollegen von der Frühschicht den Fall weiter bearbeiten, denkt er.
„Abrücken!“ befiehlt er seinen Männern.
Lediglich die Kollegen der Spurensicherung sind trotz des Regens weiter damit beschäftigt, mögliche Spuren zu sichern. Viel ist es allerdings nicht, was sie bisher gefunden haben. Die Fingerabdrücke müssen später ausgewertet werden. Vielleicht spuckt der Computer bei einem Durchlauf den richtigen Kandidaten aus.
Am anderen Morgen beginnt ein reges Treiben im Präsidium. Die Beamten nehmen sich des nächtlichen Falles an und tragen alle Fakten zusammen, die ihnen bislang bekannt sind. Viel ist es nicht. In der Frühbesprechung werden alle Erkenntnisse noch einmal kurz zusammengefasst und durchgesprochen.
Der Verdacht der Spurensicherung, dass der tote Körper auf dem Gleis des Güterbahnhofes nur abgelegt worden ist, hat sich inzwischen bestätigt. Dazu passt die Aussage des Arztes, dass der Tod nicht um die Zeit des abgegebenen Schusses eingetreten sein kann, sondern bereits etwa zwei Stunden zuvor. Das passt wiederum mit den vorhandenen Totenflecken und dem Blutverlust zusammen, denn Blut war am Fundort so gut wie keines zu finden. Der relativ leichte Regen hätte in der Kürze der Zeit nicht soviel Blut, wie hätte ausgetreten sein müssen, weg waschen können.
„Dann war der Schuss, den die Anwohner gehört haben, lediglich ein Schuss in die Luft, um vorzutäuschen, das Verbrechen habe sich am Bahndamm ereignet“, meldet sich Hauptkommissar Lauter zu Wort, dem inzwischen klar geworden ist, dass der Güterbahnhof nicht der eigentliche Tatort sein kann.
„Damit ergibt sich die Frage, wo der Tote exekutiert worden ist“, wirft ein anderer Beamter ein.
„Die Zeit zwischen der Ermordung und des Auffindens der Leiche lässt darauf schließen, dass der Mann vermutlich irgend wo in der Innenstadt erschossen und später zum Güterbahnhof abtransportiert worden ist. Anders lässt sich der Schuss nicht erklären, der jedenfalls nicht auf dem Bahngelände auf den Mann abgegeben worden sein kann“, gibt ein weiterer Kripobeamter zu bedenken.
Da meldet sich ein jüngerer Beamter zu Wort, der bislang an seinem Computer damit beschäftigt war, die dem Toten abgenommenen Fingerabdrücke durch ein spezielles Programm zu jagen.
„Bingo! Ich habe den Kerl identifiziert. Es handelt sich um einen Kleinkriminellen mit einem tapetenlangen Vorstrafenregister. Er stammt aus der Szene und ist Handlanger von Emil Ellermann, der unter dem Namen 'Der Boss' bekannt ist. Ellermann beherrscht bei uns den Drogenmarkt, mischt aber auch in allen anderen Branchen mit, in denen es Geld zu verdienen gibt, egal ob Prostitution in größerem Stil, Schutzgelderpressung oder Verkauf von illegalen Waffen. Er lässt da nichts aus.“
„Super, Leute“, lässt sich der Einsatzleiter, Polizei-Hauptkommissar Ernst Lauter, vernehmen, „dann haben wir jetzt wenigstens einen Ansatzpunkt. Ich mache darauf aufmerksam, dass Ellermann sehr gerissen und äußerst gefährlich ist. Wer dem zu nahe kommt, hat große Probleme. Möglicherweise hat unser Toter da etwas zu eigensinnig gehandelt und ist dadurch dem Boss in die Quere gekommen. Und der spaßt da nicht lange mit herum. Ob da ein Mann weniger in seiner Mannschaft herum hampelt oder nicht, das ist dem Kerl völlig egal. Der kennt keine Skrupel und macht nicht langes Federlesen. Jetzt müssen wir nur noch heraus bekommen, wo die Tat geschehen ist. Das wird nicht so leicht sein, denn das könnte überall der Fall gewesen sein. Und über Handlanger, die grausige Taten auszuführen bereit sind, verfügt er zu Genüge.“
Ein anderer Beamter der Dienststelle meldet sich zu Wort und schlägt vor, sich erst einmal vorsichtig in der Szene umzuhören.
„Wie ihr alle wisst, ist dem Boss bisher nichts nachzuweisen gewesen. Selbst die Jungs vom Drogendezernat haben sich an ihm schon seit Jahr und Tag die Zähne ausgebissen. Das ist eine harte Nuss, die wir da zu knacken haben. Und bewaffnet ist er auch. Vielleicht hat er jetzt einen entscheidenden Fehler begangen, der uns weiter hilft.“
„Also“, ergreift der Dienststellenleiter erneut das Wort, „ihr wisst jetzt, was zu tun ist. Ran an die Arbeit.“
Das war der Befehl an seine Leute, mit der Spurensuche zu beginnen. Man will dem Boss endlich das Handwerk legen.
Jeder Beamte, der in irgend einer Weise Kontakt zu einem Kriminellen in der Szene hat, ist jetzt dabei, seine Bekannten anzusteuern und auszuhorchen.
Irgend wo muss es ein Leck geben, dass dem Boss zum Verhängnis werden könnte.
Die Jagd auf den König der Szene hat begonnen.
Unauffällig streifen wenig später mehrere Kriminalbeamte durch die Innenstadt. Ziel ist das Szeneviertel, das Bermuda-Dreieck, in dem die meisten Informanten herum lungern. Denen kommt viel zu Ohren, was für die Polizei sehr wichtig sein kann. Nur darf keiner mitbekommen, dass ein Informant mit einem Kriminalbeamten spricht. Das könnte dem Boss zu Ohren kommen und hätte unabsehbare Konsequenzen.
Wenn es zu einem Kontakt kommen soll, lotst man sich in eine dunkle Ecke, um ungesehen und ungestört mit dem Beamten Neuigkeiten auszutauschen. Sie geben diese Informationen nicht an die Polizei weiter, um sofort Belohnung zu kassieren, sondern erhoffen sich für später, dass sie, falls man sie selbst einmal erwischt, bevorzugte Behandlung erfahren.
Eine Rückversicherung kann nie schaden.
So sieht es auch Gorki, ein Russe, der diesen Spitznamen trägt, weil er so belesen ist. Diesen Spitznamen hat man ihm irgend wann einmal angehängt und den wird er auch so schnell nicht wieder los. Gorki hat sich daran gewöhnt. Ihn stört es nicht weiter. Seinen richtigen Namen kennt ohnehin niemand, zumal er für deutsche Zungen fast unaussprechlich ist. Es reicht ihm, dass er wenigstens richtig geschrieben auf seinem Personalausweis vermerkt ist.
Gorki spricht gut Deutsch, wenn auch mit Akzent, lebt schon längere Zeit in dieser Stadt und fand auch irgend wann Anschluss an den Ellermann-Clan. Das war für ihn keine besondere Leistung, denn auf einen in der Szene sich herumtreibenden Neuen stellt man sich dort schnell ein. Und schon saß er in den Fängen des Bosses fest. Für irgend etwas ist er ihm alle mal gut.
Nun ist Gorki natürlich kein Dummer. Er ist intelligent genug, um zu wissen, dass gute Beziehungen zur Polizei durchaus zum Vorteil gereichen können, zumal in seinem Fall, wo er doch schon so oft mit der Polizei in Kontakt geraten und stets vor dem Gericht gelandet ist. Also hat er sich gelegentlich bei einer seiner Vernehmungen mit einem bestimmten Beamten etwas angefreundet. Nicht so, was man allgemein so unter Freundschaft versteht. Nein, es ergab sich bei einer seiner Vernehmungen, dass er dem fragenden Beamten anbot, ihm bei Gelegenheit Informationen zuzuspielen, soweit es ihm überhaupt möglich ist. Das Angebot wurde dankbar angenommen.
Auch wenn es Gorki in der damaligen Vernehmung nicht weiter half, so hat er sich doch mit seinem Zugeständnis wenigstens für die Zukunft ein kleines Tor Richtung Staatsgewalt aufgestoßen. Und der betreffende Beamte – es war Polizei-Hauptkommissar Ernst Lauter – hat da zugegriffen. Es kann auch für einen Polizisten nicht schaden, gewisse Kontakte zur Szene zu haben und zu pflegen. Das kann zu gewissen Zeiten unheimlich nützlich sein, an Informationen zu gelangen, die sonst niemandem zugänglich sind.
Ein solcher Tag ergibt sich heute. Lauter erinnert sich seines Kontaktmannes und begibt sich in die Gegend, in der er Gorki vermutet. Gorki hat die Angewohnheit, sich stets im Umfeld eines ihm besonders gut bekannten Automaten-Spielsalons aufzuhalten. Lauter weiß zwar nicht warum, aber es ist so. Vielleicht spielt er gerne, um sein Taschengeld etwas aufzubessern. Aber das allein kann auch nicht der Grund sein, denn derartige Geldautomaten haben die blöde Angewohnheit, stets mehr zu schlucken als auszuspucken. Und so reich ist Gorki nun auch wieder nicht, als dass er sich das über eine längere Strecke leisten könnte. Das dürfte auch Gorki inzwischen bemerkt haben.
Lauter lenkt seine Schritte in die Richtung des ihm bekannten Automaten-Spielsalons.
Langsam geht er die Straße, in der die Spielhalle liegt, entlang. Er verhält sich unauffällig, schaut sich aber von Zeit zu Zeit um, ob er nicht irgend wo seinen Informanten entdecken kann. Ihn möchte er unbedingt finden. Der bleibt vorerst aber unsichtbar.
Lauter überlegt, ob sich Gorki vielleicht gar nicht mehr in der Gegend befindet, weil er wegen irgend einer kriminellen Geschichte unterwegs ist. Aber da täuscht er sich. Gerade tritt Gorki aus einem Zeitschriftenladen heraus und will mit der soeben erworbenen Sportzeitung, die er wegen der frischen Fußballergebnisse gekauft hat, die Straße überqueren. Er erblickt sofort den Polizeibeamten in Zivil und vermutet, dass dieser mal wieder auf der Suche nach Neuigkeiten ist. Schließlich weiß er, dass es in der vergangenen Nacht einen Toten in der Szene gegeben hat. Und er kombiniert sofort, dass Lauter vermutlich in dieser Richtung auf Ermittlungstour ist.
Unauffällig langsam schlendert Gorki über die Straße, den Beamten immer im Blickfeld behaltend. Er bemerkt, dass ihm Lauter ein fast unsichtbares Zeichen mit dem linken Arm gibt. Das bedeutet, dass er ihn sprechen möchte.
Auf offener Straße funktioniert das aber nicht, deshalb steuert Gorki einen Durchgang zu einem Hinterhof an. Lauter folgt ebenfalls langsamen Schrittes. Als er an dem Durchgang vorbei geht, biegt er blitzschnell ein und verschwindet unsichtbar für andere Straßenpassanten.
Gorki ist im Durchgang stehen geblieben und erwartet seinen Gesprächspartner. Lauter geht auf ihn zu und reicht ihm die Hand. Es sieht unverfänglich aus, als träfen sich zwei alte Freunde. Nur kein Aufsehen erregen, heißt die Devise für beide.
„Na, Gorki, wie geht’s dir, alter Sportsfreund?“
Lauter duzt Gorki einfach, eröffnet so das Gespräch und hofft, dass Gorki auf ihn genauso eingeht. Und er tut es. Allerdings hat er vor seinem Gegenüber einen gewissen Respekt und bleibt bei dem förmlichen „Sie“.
„Hallo, kann nicht klagen“, lässt er sich vernehmen.
„Sage mal“, fragt Lauter dann weiter, „was war denn heute Nacht bei euch los?“
Das ist für Gorki die Bestätigung, dass Lauter etwas über den Toten erfahren möchte.
„Was soll schon groß los gewesen sein“, fragt Gorki zurück. Er ist vorsichtig und will erst einmal heraus finden, worauf der Beamte wirklich hinaus will.
„Na du weißt schon. Heute Nacht habt ihr doch einen Mann als Verlust abbuchen müssen.“
„Ach, sie meinen die Sache mit dem Toten“, gibt Gorki leise zurück. „In der Tat, wir hatten einen kleinen Unfall.“
„Was heißt hier Unfall? Der Tote ist doch regelrecht hingerichtet worden.“
„Kann schon sein. Man sollte nicht zu unvorsichtig gegenüber seinem Chef sein.“
„Was hat sich denn der Tote angemaßt, dass er so abgestraft worden ist?“
„Ach, nicht besonders viel. Wollte sich nur etwas Koks auf die Seite schaffen. Das mochte der Boss gar nicht.“
„Aha. Kann ich mir vorstellen. Wo fand denn die Exekution statt und wer hat sie ausgeführt? Soweit ich weiß, macht sich der Boss selbst nicht so schnell die Finger schmutzig. Der muss einen Handlanger dafür benutzt haben. Weißt du, wer es war?“
„Nein, weiß ich nicht. Aber sie haben ganz recht. Es passierte in einem Hinterzimmer des Clubs „Amore“. Einer von Ellermanns Angestellten erledigte das. Das Problem bestand nur darin, wie die Leiche zu entsorgen ist.“
„Und wie habt ihr sie entsorgt, wie du das bezeichnest“, will Lauter jetzt genauer wissen.
„Mit einem Kleintransporter. Das war dann letztlich sehr einfach.“
„Weißt du, wer den Gauner erschossen hat“, stößt Lauter noch einmal nach. Ihm reichen die Details bislang nicht, aber Gorki lässt sich alles nur nach und nach aus der Nase ziehen.
„Ein mir leider namentlich nicht bekannter Neuer in der Szene. Für ihn war das wohl so eine Art Mutprobe, die ihm der Boss auferlegt hat.“
„Und der fuhr dann auch den Kleintransporter“, bohrt der Beamte weiter.
„Nein. Den Wagen fuhr ein Kumpel von mir, der wusste aber erst, dass da eine Leiche drin ist, als sie ausgeladen worden ist.“
„Und wie war das mit dem Schuss?“
„Den gab sicherlich ein zweiter Mann ab, der mit fuhr. Ihn kenne ich allerdings ebenso wenig wie den Todesschützen. Der Schuss sollte die Tat zu diesem Zeitpunkt und an dieser Stelle auf dem Güterbahnhof vortäuschen. Mehr weiß ich wirklich nicht.“
„OK. Danke. Du hast mir sehr geholfen. Mach*s gut und halte weiter die Augen offen. Wenn du noch etwas Wichtiges heraus bekommen solltest, rufe mich einfach an. Meine Handy-Nummer hast du ja.“
Damit verabschiedet sich Lauter von seinem Gesprächspartner und tritt wieder hinaus auf die Straße, um seinen als Spaziergang getarnten Einsatz abzubrechen. Mit seinen Informationen begibt er sich schleunigst ins Polizeipräsidium zurück, um dort seine Kollegen darüber zu unterrichten, was er soeben erfahren hat.
Im Präsidium tauschen die Beamten untereinander ihre bisherigen Erkenntnisse aus, damit jeder auf dem letzten Stand ist. Jetzt steht also fest, dass der Mord tatsächlich in der Stadt, und zwar in diesem Falle in einem Hinterzimmer des berüchtigten Clubs „Amore“, einem stadtbekannten Edelpuff, der u.a. dem Boss Ellermann gehört, passiert ist.
Hauptkommissar Ernst Lauter, der in seine Dienststelle zurück gekehrt und sehr daran interessiert ist, den Fall schnellstmöglich abzuschließen, ordnet eine kurzfristig angesetzte Razzia für den frühen Nachmittag an. Ihn interessiert, ob sich tatsächlich in einem der Hinterzimmer des Bordells Blutflecken entdecken lassen.
Um seinem Ziel näher zu kommen, hat Peters die Spurensicherung gebeten, mit in den Einsatz zu gehen, sich aber anfänglich im Hintergrund zu halten und erst dann zügig die Arbeit aufzunehmen, wenn er das Signal dafür gibt.
Pünktlich um 16.00 Uhr rücken die Beamten aus, unterstützt durch eine Reihe von uniformierten Polizeibeamten, mit denen Peters dem Etablissement überraschend einen Besuch abzustatten gedenkt.
Eine so kurzfristig angesetzte Razzia dürfte dem Boss im Vorfeld nicht bekannt werden, denn die Zeit dafür wäre zu kurz, es sei denn, ein Informant aus den Reihen der Polizei wäre aktiv geworden. Aber das schaltet Peters völlig aus, denn er würde für jeden seiner Leute die Hand ins Feuer legen. Und er täuscht sich da nicht.
Der Überraschungseffekt gelingt. Die Beamten dringen ohne nennenswerten Widerstand seitens des Türstehers oder des Barmannes in den Club ein und verteilen sich im Haus. Der Boss wird allerdings von der Bar aus per Telefon von einem Mitarbeiter schnell gewarnt.
Ehe der Boss allerdings von seinem Schreibtischstuhl hoch kommt und bis zur Tür vordringen kann, hat einer der Kriminalbeamten bereits die Bürotür aufgestoßen und zwingt Ellermann, sich wieder hinzusetzen. Der Boss schaut verblüfft in die Runde und fragt, was das alles soll, schließlich habe er sich nichts zu Schulden kommen lassen.
„Das werden wir ja noch sehen“, entgegnet ihm der Beamte.
Der Boss, ein großer grobschlächtiger Kerl mit finsterem Blick und unsteten Augen, dafür aber auffällig gut gekleidet, rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her, denn er kann sich keinen Reim darauf machen, was die ganze Aktion soll. Die letzte Razzia fand doch man gerade erst vor zwei Wochen statt. Und so oft lassen sich die Polizisten nun auch wieder nicht bei ihm blicken.
An die Vorkommnisse der letzten Nacht und dass die Razzia damit im Zusammenhang stehen könnte, auf die Idee kommt der Boss im Moment vor
Schreck nicht. Manchmal ist er trotz all seiner an den Tag gelegten Bauernschläue etwas begriffsstutzig.
Inzwischen ist auch Lauter im Zimmer eingetroffen und nimmt sich des Herrn Ellermann an.
„Wo waren sie in der letzten Nacht, sagen wir so zwischen 23.00 Uhr und Mitternacht?“
Jetzt beginnt es beim Boss zu dämmern. Er will ablenken.
„Was soll die Aktion hier? Bei mir ist doch alles in Ordnung.“
Jetzt wird Lauter lauter.
„Beantworten sie mir bitte meine Frage.“
Ellermann weiß nun, dass er sich etwas einfallen lassen muss. Irgend wie muss die Polizei dahinter gekommen sein, dass die nächtliche Leiche vom Güterbahnhof auf sein Konto geht. Aber wie ist die Polizei dahinter gekommen? Hat ihn eventuell ein eigener Mann verpfiffen? Ellermann zermartert sich seinen Kopf, kommt aber zu keinem Ergebnis.
„Ich war natürlich hier in meinem Büro und habe Abrechnungen überprüft.“
„Zeugen?“
„Ja, mein Hund, aber der kann leider nicht sprechen.“
Seine flapsige Art kommt allerdings bei Lauter nicht gut an. Diese Art mag er überhaupt nicht.
„Herr Ellermann, ich nehme sie vorläufig fest wegen des Verdachts der Anstiftung zur Tötung eines ihrer Mitarbeiter. Ziehen sie sich ihre Jacke über und kommen sie mit.“
Zwei Polizeibeamte nehmen den Boss in ihre Mitte und bugsieren ihn über den Flur, die Treppe hinunter und quer durch den Clubraum hinaus zu einem der Polizei-Fahrzeuge. Alle seine Leute beobachten, wie ihr Boss da abtransportiert wird.
Lauter, der die ganze Aktion leitet, beordert jetzt die Spurensicherung ins Haus.
„Nehmt euch zuerst einmal das Büro des Bosses vor. Danach nehmt die beiden anderen Zimmer daneben in näheren Augenschein. Ich glaube, dass irgend wo hier der Mord erfolgt sein muss. Arbeitet gründlich. Ich wünsche Resultate.“
„Wir arbeiten immer gründlich“, entgegnet ihm der Chef der Spurensicherung beleidigt.
„War nicht so böse gemeint, wie es vielleicht klang“, lenkt Lauter beschwichtigend ein. Er möchte es sich mit den Spusi-Männern nicht verderben. Sie müssen schließlich auch in Zukunft ständig zusammen arbeiten.
Die Spusi beginnt sofort mit der Arbeit, kann aber im Büro des Bosses keinerlei Hinweise darauf finden, dass hier jemand hingerichtet worden ist. Ist auch höchst unwahrscheinlich, denn der Boss wird sich kaum sein eigenes Zimmer verschmutzen lassen. Folglich wird die weitere Spurensuche auf die benachbarten Räume ausgedehnt. Und siehe da, zwei Türen weiter stoßen die Beamten auf Blutflecken, die man man sehr nachlässig zu beseitigen versucht hat. Da war wohl große Eile geboten. Nur hat nicht alles so geklappt, wie vermutlich geplant.
„Kollege Lauter, ich habe etwas entdeckt. Schauen sie mal hier. Hier muss sich eine größere Menge Blut befunden haben. Es ist offensichtlich versucht worden, die Spuren zu beseitigen, allerdings sehr oberflächlich. Hier können wir genau nachweisen, von wem das Blut stammt. Und es würde mich nicht wundern, wenn Blutgruppe und DNA mit den Merkmalen des Toten übereinstimmen.“
„Gute Arbeit, Herr Kollege. Das ist das Glied, das mir noch in der Beweiskette fehlte. Mal sehen, was unser Freund Ellermann uns nachher dazu zu sagen hat.“
Was gesucht wurde ist gefunden. Der Tatort ist ausgemacht. Jetzt heißt es für die Kripo, schlüssige Beweise zusammen zu tragen, um dem Boss endlich das Handwerk zu legen. Eine Zelle wartet bereits seit längerer Zeit auf ihn.
Leider konnten die Beamten dem Boss nichts direkt nachweisen, so dass er immer wieder die Möglichkeit hatte, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
„Abrücken“, befiehlt Lauter seinen Leuten, die daraufhin das gastliche Haus wieder verlassen.
Mehr interessiert ihn heute nicht in diesem Gebäude.
Die Prostituierten lungern überall in den unteren Clubräumen herum und zeigen ein leichtes Grinsen über den Abgang ihres Bosses. Es sieht fast so aus, als würden sie sich sogar darüber freuen, nur können sie das nicht so ganz offen zeigen. Das würde hier schon fast an Selbstmord grenzen, denn der Boss greift überaus hart durch, wenn er es für richtig erachtet. Er kennt da kein Pardon. Und der Geschäftsführer wacht höllisch über das Imperium und berichtet stets seinem Boss, wenn er etwas bemerkt, was nicht so ist, wie es seiner Meinung nach sein sollte.
Im Präsidium gibt es jetzt einiges zu tun. Die Beamten möchten gerne dem Boss diesen geplanten Mord nachweisen, wissen aber auch genau, dass dies ein sehr schweres Unterfangen ist. Der Boss ist mit allen Wassern gewaschen und wird sich kaum im Verhör eine Blöße geben, die ihm zum Verhängnis werden könnte. Er ist auf seine Art ein regelrechter Fuchs.
Der Boss wird direkt in einen Vernehmungsraum gebracht, wo er sich brav an einen länglichen Tisch in der Mitte des Raumes auf einen bereit stehenden Stuhl setzen muss. Neben der Tür hat ein Polizist ebenfalls auf einem Stuhl Platz genommen. Außer ihnen beiden befindet sich momentan niemand weiter im Vernehmungszimmer. Durch die große Spiegelscheibe, hinter der Lauter und zwei weitere Beamte sich aufgestellt haben, beobachten sie den verunsicherten Boss.
Ellermann ist sehr nachdenklich geworden. Innerlich lässt er die Vorgänge der letzten Nacht noch einmal vor seinem geistigen Auge Revue passieren. Er denkt krampfhaft darüber nach, ob er eventuell irgend einen klitzekleinen Fehler begangen hat, der ihm jetzt zum Verhängnis werden könnte. Bisher ist
es ihm stets gelungen, seine Unschuld nachzuweisen. Das ist auch der Grund dafür, dass er bis jetzt frei war.
Wäre es anders, säße er längst ein.
Dass es bis jetzt nicht dazu gekommen ist, bedauert niemand mehr als der Chef der Drogenfahndung, der sich über Jahre größte Mühe gegeben hat, ihm das Handwerk zu legen. Als er jetzt von dieser Razzia erfährt, jubelt er auf. Vielleicht, wenn nicht über die Drogen, lässt er sich dank dieses mitternächtlichen Mordes überführen. Jeder begeht mal irgend wann einen Fehler. Das perfekte Verbrechen gibt es nun mal nicht. Egal wie, Hauptsache der Boss kann aus dem Verkehr gezogen werden. Fällig ist der gerissene Zuhälter schon längst. Auch ihm wird mal die Stunde schlagen. Manchmal dauert es nur ein bisschen länger.
Nachdem die Beamten hinter der Spiegelscheibe eine Weile den Boss in seiner Nervosität beobachtet und bewusst etwas haben zappeln lassen, begeben sich Lauter und ein weiterer Beamter in das Vernehmungszimmer und nehmen gegenüber Ellermann Platz.
Lauter stellt das Aufnahmegerät an, spricht Name und Dienstgrad sowie Ort und Stunde in das Mikrofon und wendet sich dann an sein Gegenüber.
„Herr Ellermann, sie wissen, warum wir sie heute zur Vernehmung hier hergeholt haben?“
Der Boss spielt auf Zeit.
„Nein“, kommt nur seine kurze Antwort. Er mimt das Unschuldslamm.
„In ihrem Etablissement ist in der letzten Nacht ein Mord erfolgt. Was sagen sie dazu?“
„Nichts. Mir ist von keinem Mord in meinem Hause bekannt. Wie kommen sie denn darauf?“
„Die Fragen stelle ich hier. Ihnen fehlt doch jetzt ein Mitarbeiter, der ihnen auf so unerfreuliche Weise abhanden gekommen ist.“
„Herr Kommissar, ich zähle nicht dauern meine Mitarbeiter, um deren Vollzähligkeit zu überprüfen. Sollte tatsächlich einer abhanden gekommen sein, egal wie, so bedauere ich das natürlich sehr.“
„Polizei-Hauptkommissar. Soviel Zeit muss sein.“
„Meinetwegen auch Polizei-Hauptkommissar“, brummt Ellermann in seinen Bart. „Sie glauben doch nicht etwa, dass ich in meinem Etablissement einen Mann erschossen habe? Das wäre sehr dumm von mir.“
„Da haben sie allerdings recht. Sie sicherlich nicht persönlich. Aber nach unserem Kenntnisstand hat es diesen Mord gegeben.“
„Kann ich mir nicht vorstellen.“
„Wir schon, Herr Ellermann. Wir haben zwei Zimmer weiter neben ihrem Büro Blutspuren gefunden. Und nun raten sie mal, von wem die stammen.“
„Keine Ahnung. Hat da vielleicht einer aus Versehen Nasenbluten gehabt oder sich in den Finger geschnitten?“
Lauter ist wütend.
„Der einzige, der sich hier in den Finger geschnitten hat, sind sie. Sie glauben doch wohl nicht allen Ernstes, dass sie aus dieser Nummer hier heil heraus kommen?“
„Wieso nicht? Ich habe doch nichts getan.“
„Sie persönlich sicherlich nicht, aber auf ihre Weise indirekt.“
„Und wie soll ich indirekt etwas schlimmes begangen haben?“
„Ganz einfach. Sie haben die Exekution, so muss man das ja wohl nennen, persönlich angeordnet. Und das reicht für eine Verurteilung völlig aus. Wir nennen das schlicht Mittäterschaft bzw. Anstiftung zum Mord.“
Lauter möchte den Boss gerne aus der Reserve kitzeln. Aber Ellermann ist ein harter Brocken, der wirklich mit allen Wassern gewaschen ist, sonst hätte er es nicht so unverschämt lange ohne Verurteilung in der Freiheit aushalten können.
„Habe ich gesagt, dass ich eine solche Anordnung getroffen habe?“
Der Boss grinst und wartet auf Lauters nächste Frage.
„Nein, bis jetzt allerdings noch nicht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Wie wär's, wenn sie jetzt ein Geständnis ablegen würden? Das wäre sicherlich bei der späteren Strafbemessung durch das Gericht von größtem Vorteil.“
„Kann ich mir gut vorstellen, Chef, dass das ein Vorteil wäre, aber für wen? Eher für sie, denn sie würden frohlocken und sich freuen, mich reingelegt zu haben. Aber so läuft das hier nicht. Ich habe mir nichts vorzuwerfen, da können sie noch so lange herum bohren. Sie werden mir nichts nachweisen
können. Ich sage es nochmals ganz deutlich und langsam zum Mitschreiben: Ich habe nichts getan und bin unschuldig. Verstanden?“
Die letzten Sätze sprach der Boss etwas betont frech und kräftiger aus, als es ihm ansteht. Lauter platzt der Kragen. Er weiß aber auch, dass er ohne ein Geständnis hier nicht weiter kommt.
„Herr Ellermann, gewöhnen sie sich erst einmal einen anderen Ton an und genießen sie unsere besondere Gastfreundschaft in einer Zelle. Dort haben sie alle Zeit der Welt, sich in aller Ruhe zu überlegen, ob eine Kooperation mit uns nicht doch für sie von Vorteil wäre. Raus mit ihm.“
Während Lauter die letzten Worte sprach, betreten zwei Polizeibeamte den Raum und nehmen Ellermann beidseitig unter den Arm, um ihn für die nächsten Stunden in seinem neuen Domizil unterzubringen. Sie führen den Boss hinunter in den Zellentrakt und weisen ihm eine der karg eingerichteten Zellen zu.
„So, hier dürfen sie unsere Gastfreundschaft auskosten.“
Der Boss bleibt mitten im Raum stehen und schaut bedeppert drein. Er hatte gehofft, wieder auf freien Fuß gesetzt zu werden. Mit diesem Ausgang hatte er nicht gerechnet. Einer der beiden Beamten zieht die Zellentür hinter sich zu und schiebt den großen Riegel vor. Dann verlassen die Beamten den Zellentrakt und gehen wieder nach oben.
Derweil schmort der Boss in seiner Zelle und denkt angestrengt darüber nach, was er wohl falsch gemacht haben könnte. Irgendwie muss er hier wieder heraus. Die Beamten dürften seiner Meinung nach keinerlei Gründe haben, ihn für längere Zeit hinter Gitter zu behalten.
Der Boss mag nämlich keine gesiebte Luft.

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